“Mein Haus ist dein Haus”
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Was an meiner Architektur anders sei, wurde ich kürzlich gefragt. Nun, in erster Linie bin ich Künstler. Ein Freigeist. Diese Sicht auf die Dinge spiegelt sich in allem wider, was ich tue. Ich bin kein ausgebildeter Architekt, deshalb liegt mein Augenmerk klar auf der Raumgestaltung und auf den Möbeln, die ich selbst entwerfe. Meine Ideen entstehen aus der Arbeit heraus. Ich versuche immer, eine Geschichte damit zu erzählen. Ich habe also ein Projekt im Kopf, fange an zu zeichnen – und dann entsteht eine ganze Welt. Es ist mehr ein spielerisches Umgehen mit Kreativität, als eine krampfafte Suche danach. Wenn ich plane, bin ich in einer Art Traumzustand, es gibt nichts, was es nicht gibt. In der späteren Umsetzung muss es natürlich realistisch und machbar sein, doch bis es soweit ist, bin ich frei.
Schon als kleiner Junge baute ich mir meine eigene Welt, kreierte die Umgebung, in der ich mich am liebsten aufielt. Die grösste Herausforderung besteht für mich heute darin, Orte zu erscha en, an denen sich andere Menschen genauso wohlfühlen. Getreu dem Motto: „Mein Haus ist dein Haus“ wohne ich mit meiner Familie in der obersten Etage unseres Backstage-Hotels in Zermatt und wün- sche mir, dass sich unsere Gäste hier ebenfalls zuhause fühlen. Denn ihre Zeit ist wertvoll. Deshalb ist es mir wichtig, den Moment zu ins- zenieren, unvergessliche Augenblicke zu erzeu- gen, die den Gästen lange im Gedächtnis haf- ten bleiben. Ich bin nicht der typische Hotelier, der seinen Gästen in der Halle die Hand drückt und ihnen einen guten Tag wünscht oder im besten Fall einmal mit ihnen Ski fährt. Bei mir drückt sich die Bindung zum Gast vor allem durch dasselbe erlebbare Gefühl aus, wenn man die Räume meines Hotels betritt oder die Appartements, Chalets, Lofts und Restaurants in der näheren Umgebung, die ich auch gestal- tet habe. Dadurch bin ich für den Gast grei ar. Wenn ich dieses Gefühl transportieren kann, habe ich mein Ziel erreicht.
Das „Backstage“ ist kein konventionelles Feriendestinationshotel, in das man mit Sack und Pack anreist und vierzehn Tage bleibt. Es liegt mitten im Zentrum, ist also quasi ein städtischer Betrieb. So kann man die Bergkulisse mit freiem Blick auf das Matterhorn geniessen, ist aber gleich- zeitig am Puls des Geschehens. Unser Publikum ist jung und urban, kunst- und kulturinteressiert, gerne unter Menschen, im Ausgang oder am Shoppen. Genau diese Interessen decken wir in unserem Haus mit zwanzig Zimmern ab – und mit einem eigenen Kino, einer Konzertbühne, einer zeitgenössischen Kunstgalerie, einem gross- zügigen Wellnessbereich, drei verschiedenen Gastronomiebetrieben, unter anderem un- serem mehrfach ausgezeichneten Restaurant „After Seven“, in dem in den Wintermonaten Sternekoch Ivo Adam am Herd steht. Wir wollten ganz bewusst nicht das typische Bergdorfotel-Bild bedienen, mit Schafen, Ziegen und Geranien im Garten. Natürlich spricht das auch ein Zielpublikum an und weckt Emotionen bei bestimmten Gästen. Wir wollten aber andere Emotionen wecken. Doch egal, welche Gefühle man auch immer hervorrufen möchte, wichtig ist, dass das, was man macht, echt ist. Ich bin kein Freund von Imitationen. Neubauten, die aussehen sollen, als seien sie 300 Jahre alte Kuhställe, nde
ich verlogen. Mit Traditionen setze ich mich durch die Auswahl der Materialien, die ich für meine Möbel, Lampen und Skulpturen ver- wende, auseinander – ich benutze Altholz oder Naturstein. Und inszeniere dabei alles so, dass der Gast die Elemente, die in einen zeitgenös- sischen Bau integriert wurden, bemerkt. So ge- lingt es mir, eine Spannung zwischen Tradition, Gegenwart und Zukunft aufzubauen.
Überhaupt nde ich, sollten wir Schweizer Hoteliers viel mehr Wert auf gute Materialien legen. Diese müssen nicht unbedingt edel, aber mit Bedacht ausgewählt und schön verar- beitet sein. Zum Glück haben wir hierzulande wirklich fantastische, visionäre Projekte und müssen uns nicht verstecken.
UNSER KOLUMNIST, HEINZ JULEN, 52, ist Künstler und Unternehmer. Ihm gehört das Vier-Sterne-„Back- stage“-Hotel in Zermatt mit dem Veranstaltungs- lokal „Vernissage“ im selben Gebäude, wo das Musikfestival „Zermatt Unplugged“ vor zehn Jahren erstmals statt- fand. Zahlreiche andere Restaurants und Häuser wurden ebenfalls von ihm gestaltet; die Möbel dafür entwirft er selber und lässt sie im eigenen Pro- duktionsbetrieb mit zehn Mitarbeitern herstellen. Er lebt mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern im „Backstage“-Hotel in Zermatt. (www.heinzjulen.com)